Das Wundervolle bewegt die Erinnerung mehr als das Gewöhnliche. Dieser Satz, ursprünglicher Arbeitstitel des Stücks „The Wonderful and the Ordinary“ („Das Wundervolle und das Gewöhnliche“) inspirierte die Choreografin Gunilla Heilborn dazu, eine Trilogie zu konzipieren, die sich mit dem Wunder und der Last der Erinnerung beschäftigt.
Interview: Beatrix Joyce
Wie verlief deine Recherche zum Thema Erinnerung?
Der Titel „The Wonderful and the Ordinary“ („Das Wundervolle und das Gewöhnliche“) ist dem Buch „The Art of Memory“ („Die Kunst der Erinnerung“) von Francis A. Yates entnommen. In ihrem Buch skizziert Yates verschiedene Lerntechniken, die genutzt wurden, um Informationen über lange Zeiträume hinweg zu bewahren und sich an sie zu erinnern – vom antiken Griechenland und dem römischen Reich bis hin zum Mittelalter und der Renaissance. Die Autorin beschreibt, dass es in den ersten Demokratien besonders wichtig war, ein*e gute*r Sprecher*in zu sein, um die Menschen von einer bestimmten Meinung oder Handlungsweise zu überzeugen. Ein gutes Erinnerungsvermögen kann einem da helfen, weil man so bessere Geschichten erzählen kann. Menschen, denen es leichtfällt, Informationen abzurufen, hört man gewöhnlich interessierter zu. Neben Yates haben ich auch „The Memory Illusion“ („Die Erinnungesillusion“) von Julia Shaw gelesen, in dem es um die Schaffung falscher Erinnerungen geht. Außerdem fand ich „Moonwalking with Einstein“ von Joshua Foer interessant, das der Autor hier beschreibt, wie er sein Erinnerungsvermögen so entwickelt hat, dass es ihm gelang, einen neuen amerikanischen Rekord im speed cards Kartenspiel aufzustellen. Außerdem haben wir uns in unser Recherche mit dem Hyperthymestischen Syndrom (HSAM) beschäftigt. Personen mit diesem Syndrom sind in der Lage, sich im Detail an jeden einzelnen Tag ihres Lebens zu erinnern. Sie können sowohl Ereignisse einem bestimmten Datum im Kalender zuordnen als auch abrufen, was sie an jedem beliebigen Tag zum Mittag gegessen haben. Das ist beeindruckend, führt aber gleichzeitig zu der Frage: Wünscht man sich so ein Erinnerungsvermögen wirklich? Es könnte sicher auch ganz schrecklich sein! Manchmal ist es ja auch gut, etwas zu vergessen.
Welche Erinnerungstechnik hast du mit deinen Performer*innen ausprobiert?
Wir haben mit einem Gedächtnispalast (Memory Palace) gearbeitet. Das ist eine Technik, die Bilder nutzt, um neue Informationen an einem vertrauten Ort abzulegen – wie zum Beispiel deinem Zuhause. Ich habe die Performer*innen gebeten, sich die Häuser vorzustellen, in denen sie aufgewachsen sind und in ihnen eine Reihe von willkürlich ausgewählten Objekten zu hinterlegen. Es stellte sich heraus, dass das eine absolut effektive Technik war! Deshalb haben wir entschieden, einen Gedächtnispalast für Wissen zu nutzen, das wir persönlich nützlich finden – ganz gleich, ob es sich dabei um die Namen von österreichischen und schwedischen Abfahrtskier*innen handelt, um historische Personen und die Namen ihrer Hunde oder wichtige Fakten der norwegischen Geschichte. Die Performer*innen werden ohne Zweifel ihre gewählten Themen und die dazugehörigen Informationen für den Rest ihres Lebens in Erinnerung behalten!