TanzWerkstatt

Mit der TanzWerkstatt fing am 4. Juni 1988 alles an. West-Berlin präsentierte sich als Kulturstadt Europa (E 88) und Nele Hertling machte als Programmverantwortliche aus Berlin eine große, offene Werkstatt für die Künste – auch für den Tanz. Junge Tanzgruppen aus Europa wurden eingeladen, die sich, und das betont Nele Hertling immer wieder, alle nicht kannten. Geld für Reisen hatten weder Tänzer*innen noch Choreograf*innen und die digitale Kommunikation war noch nicht in der Welt.

Johannes Odenthal: “Die Frage nach dem europäischen Tanz”, tanz aktuell, 7/8 1988

Nach dem Ende der erfolgreichen TanzWerkstatt verfasst Nele Hertling ein Positionspapier für die Zukunft:

Dass die TanzWerkstatt 1989 als “Tanz im August” fortgeführt werden konnte, hatte mit der unermüdlichen Lobbyarbeit und der Berufung von Nele Hertling zur Geschäftsführerin und künstlerischen Leiterin der Hebbel-Theater Berlin GmbH Ende 1988 zu tun. Nele Hertling:

O-Ton Nele Hertling

“Ich glaube nicht, dass es irgendjemand daneben in der Stadt damals gab, der überhaupt auf die Idee gekommen wäre, das weiter zu machen. Vor allen Dingen, weil es ja gar keinen Ort gab und dadurch, dass wir das Hebbel-Theater als Ort retten konnten für diese Art von Kunst, lag es dann nahe. Klingt so ein bisschen vermessen, aber ich glaube, es hätte so in dieser Form es damals sicher noch nicht gegeben.”

Die TanzWerkstatt 1989 war wie die erste Ausgabe ein “Gemeinschaftsprojekt”. Die Akademie der Künste, das Hebbel-Theater, die SommerWerkstatt, die Tanzfabrik und die Tanz Initiative Berlin e.V. hatten sich zusammengetan und bringen ein eigenes Programmheft heraus. Auf dem Cover taucht zum ersten Mal der Festivalname auf, der sich schnell als Markenzeichen durchsetzte.

Der Idee, die TanzWerkstatt Berlin “Tanz im August” zu nennen, lag eine einfache Überlegung zugrunde. Im Sommer waren alle Theater und Opernhäuser der Stadt geschlossen – für viele ein Unding – und im August (meistens nach den Sommerferien der Schulen) kam man keinem anderen Veranstalter ins Gehege. Ulrike Becker, die Nele Hertling für das Kulturstadtjahr engagiert hatte, organisierte die internationale TanzWerkstatt 1988 aufgrund der Platznot in der Spichernstraße im “Home Office” und in enger Zusammenarbeit mit André Thériault, Noch-Geschäftsführer der Tanzfabrik. Jacalyn Carley, Mitbegründerin der Tanzfabrik, erinnert sich gerne an die Werkstattprojekte zurück:

O-Ton Jacalyn Carley

“Wir haben es wie eine kleine Uni verstanden, dass so zwei, drei Wochen im Jahr Trisha Brown und wie sie alle hießen, sie kommen und sie haben dann im Studio Eins richtige Seminare gehalten – richtig schöne Sachen.”

1989 zog die TanzWerkstatt in ein Büro in der Großbeerenstraße. Ulrike Becker und André Thériault bekamen mehr Platz, aber nicht mehr Geld für den so erfolgreichen, internationalen Arbeitsaustausch zwischen Berliner und europäischen Choreograf*innen und Tänzer*innen.

Katrin Bettina Müller: “Von Kopf bis Fuß”, tip, 17/89

Während Nele Hertling größere Kompanien ins Hebbel-Theater einlud, organisierten Ulrike Becker und André Thériault Workshops, Projekte und Studioaufführungen, vorwiegend in den Räumen der Tanzfabrik. 1992 zog die TanzWerkstatt Berlin in das Podewil, wurde Teil der neu geschaffenen landeseigenen Berliner Kulturveranstaltungs-GmbH (BKV). Das umgebaute ehemalige Palais in der Klosterstraße erlaubte eigene Veranstaltungen, brachte ein Stück Unabhängigkeit.

TanzWerkstatt Konzeptpapier 1997

1998 wurde das Podewil in der Klosterstraße hausintern um- und ausgebaut, personell neu strukturiert:

Martina Helmig: "Internationales Netzwerk - Etabliert: Podewil will Arbeit mit neuer Personalstruktur verbessern", 17.09.1998

Mit Nele Hertlings Abschied vom Hebbel-Theater wurde 2003 zunächst der Etat für das gesamte Festivalprogramm der TanzWerkstatt Berlin zugesprochen. Eine Lösung, die Matthias Lilienthal, neuer Chef der Hebbel-Theater Berlin GmbH, nicht akzeptieren wollte. Er überzeugte Kulturstaatssekretär André Schmitz, den Etat zu teilen: 50% Hebbel und 50% TanzWerkstatt.

Die gleichberechtigte Zusammenarbeit der beiden Veranstalter hatte Folgen: 

“Wir erhielten die Gelegenheit, das Festival so umzugestalten, wie es sich heute darstellt. Wir konnten die Veranstaltungen auf die ganze Stadt und sehr verschiedene Formate ausdehnen, Rahmenprogramme gestalten und beauftragen (Sommerbar, Kinoprogramme, Outdoor, Site-Specific, Zwischenrufe, Diskussionen) sowie große Produktionen im Haus der Festspiele, aber auch in der Volksbühne, der Schaubühne und der Akademie der Künste präsentieren. Außerdem konnten wir internationale Koproduktionen eingehen und insgesamt international neue Partner gewinnen. Durch diese Vielfalt, die stadtweite Streuung der Spielorte und deren unterschiedliche Größe haben wir neue Publikumsschichten gewonnen, die Zielgruppe ausgeweitet und auch die Szene lokal und international stärker einbezogen.” (Ulrike Becker) 

Ulrike Becker und André Thériault, 7. August 2000

Trotzdem, die Konstellation hatte Tücken. Alle Interessen auszubalancieren war ein Kunststück, das nicht jedes Jahr gelungen ist, und die wechselnden finanziellen Probleme machten die Sache nicht einfacher. 2012 kam es zum Streit über die Zukunft des Festivals. Ulrike Becker und André Thériault schrieben ein Papier, das vor der Eröffnung des Festivals bereits in der Stadt kursierte.

Ulrike Becker erklärte Jürgen Liebing gegen Ende des Festivals 2012 in der Sendung Fazit (Deutschlandradio Kultur) ihre Beweggründe:

O-Ton Jürgen Liebing im Gespräch mit Ulrike Becker (Fazit, 20.8.2012)

Jürgen Liebing: “Am kommenden Wochenende geht die diesjährige Ausgabe von Tanz im August in Berlin zu Ende. Tanz im August – das größte deutsche Tanzfestival und neben ImPulsTanz Wien und Montpellier Danse das drittgrößte in Europa. Die Auslastung liegt bei weit über 90 Prozent – alles bestens, könnte man meinen. Aber hinter den Kulissen, da brodelt es ein wenig. Zwei der Kurator*innen haben ein Positionspapier vorgelegt, Ulrike Becker und André Thériault. Ulrike Becker ist nun im Studio von Fazit. Was hat Sie zu diesem Positionspapier veranlasst?”

Ulrike Becker: “Es gab gewisse Anzeichen, dass in der Senatsverwaltung geplant ist, das Tanzfestival, das bisher von zwei Partnern veranstaltet wird – von der Kulturprojekte Berlin und der TanzWerkstatt, die dort angesiedelt ist, und dem HAU, dem Hebbel am Ufer in Berlin – gänzlich an das HAU zu verlagern. Und in unseren Augen wäre das für die Zukunft des Festivals nicht gut, eher ein Rückschritt, weil sich das Festival zu einem stadtweiten Ereignis inzwischen entwickelt hat, was auch den Charakter des Festivals ausmacht. Und in unseren Augen ist es sehr wichtig, dass es so bleibt.” 

Am Ende der heftigen Diskussionen kam es zu einer dauerhaften Trennung und die war – wie die meisten Trennungen – schmerzhaft. Es folgte die Auflösung der TanzWerkstatt und das Aus für die langjährigen Kuratoren Ulrike Becker und André Thériault. Der Vorschlag, das Festival 'über den hauptstädtischen Tellerrand’ hinauszudenken (Dorion Weickmann in der SZ am 27.08.2012), eine Art Berlinale für den Tanz einzurichten, kam nicht an, denn der amtierende Kulturstaatssekretär Andre Schmitz stellte ganz klar: ”Tanz im August ist ein Berliner Festival, und das wird es auch bleiben.” (a.a.O.)

Derweil hatte Schmitz eine Personalie geregelt, die auch die Zukunft des Festivals bestimmte. Annemie Vanackere, die Nachfolgerin von Matthias Lilienthal, übernahm 2012 nicht nur das HAU Hebbel am Ufer, sondern auch das Festival “Tanz im August“. Das liegt seitdem in der Hand einer künstlerischen Leitung, die im Auftrag der Hebbel-Theater Berlin GmbH handelt. Im Herbst 2013 übernahm Virve Sutinen diese Funktion.